Memoiren eines Lichtträgers / Urbane Prädatoren

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Bei den folgenden Text handelt es sich um die Fortsetzung der Memoiren eines Lichtträgers aus dem Tagebuch des Runners Silencio, aus dem später die Aufzeichnungen des Teams Bulletproof wurden, welches schließlich den Orden der Lichtträger neu gründete.
Jedes initiierte Mitglied der Lichtträger erhält ein Exemplar dieser Aufzeichnungen unter der Auflage es nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, dennoch erschienen Ende 2075 erste Teile der Aufzeichnungen in verschiedenen Data Havens. Ob es sich um Verrat oder eine Art von Rekrutierungsflyer der Lichtträger handelt ist bislang unbekannt.
Der aktuelle Stand der Veröffentlichung hier, entspricht dem Stand der Veröffentlichung ingame vom 15.10.2076.

Bisher erschienene Kapitel:

Achtung Spoiler! SPOILERWARNUNG! Achtung Spoiler!
Dieser Text kann Informationen enthalten durch die der "Genuss" folgender Romane und Abenteuer eingeschränkt wird:

Romane:

Abenteuer:


Timecode 06.10.2054 / 12:30:00

Ich war schon ein wenig verwundert gewesen, als leon am gestrigen Abend bei mir anrief und mir mitteilte, sie habe einen Job für unser Team an Land gezogen. Offensichtlich war sie hier in Seattle doch besser eingebunden, als ich gedacht hatte.
Das Treffen sollte im Club Penumbra stattfinden. leon hatte den Namen „Castigliano“ erwähnt, und ich hatte mich ein wenig umgehört. Wenn meine Quellen die Wahrheit sagten, handelte es sich um einen auch unter dem Namen „Steel“ bekannten Wetworkvermittler. Irgendwie wollte mir das nicht behagen, aber was erwartete ich auch von einem Job, den eine ehemalige Mafiakillerin an Land gezogen hatte. Auch die mittägliche Uhrzeit hatte mich ein wenig überrascht, aber meine Connections meinten, Steel würde gut zahlen, da lohnte sich das frühe Aufstehen unter Umständen.
Wir hatten unsere Karre ein Stück die Straße hinunter geparkt und nahmen die letzten Meter zum um diese Zeit verlassen wirkenden Club Penumbra per pedes.
„Ich glaub‘, ich war hier noch nie bei Tageslicht…“, maulte Ator, während wir durch die im Hellen fremd wirkenden Straßen von Puyallup gingen. Er war noch immer angepisst wegen dem Überfall auf seine Bude und hatte einen befreundeten Sicherheitsspezialisten mit dem Einbau einer einbruchssicheren Tür und einem vernünftigen Magschloß beauftragt. Vielleicht war er da ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, aber ich schätzte mich innerlich schon froh, daß er nicht direkt zur Verfolgung und Auslöschung von Quicksilver und seinem Team ausgerückt war.
„Jetzt hab‘ dich mal nicht so! Außerdem ist Sonnenlicht gut für die Vitaminbildung….“, entgegnete leon, die eine Ausgeburt an Fröhlichkeit zu sein schien.
„Ich fühl‘ mich auch nicht wohl.“, brummelte es aus JD’s Ecke.
„Euer Ego is‘ einfach im Keller…hahahaa…ich meine, war schon ’ne üble Nummer. Aber was soll’s, wir leben noch und welcher Dieb, der einen Drachen bestohlen hat, kann das schon von sich behaupten? Mal ganz ehrlich, die hätten uns auch einfach ausknipsen können.“, versuchte ich es mit ein wenig schwarzem Humor.
„Vielleicht“, zischte Ator, „aber was mich mehr beunruhigt, ist die Tatsache, daß dieser Quicksilver offensichtlich davon überzeugt ist, uns wiederzusehen. Ich bin dafür, daß wir dieses Treffen nach unseren Bedingungen ablaufen lassen.“ Seine Haut nahm einen grünlichen Schimmer an und ich wußte, er würde jetzt nur zu gern ein magisches Feuerwerk abfackeln, nur um den aufgestauten Stress zu kanalisieren.
„Wir sind da!“, unterbrach ich seine Gedanken, als wir vor der geschlossenen Tür des Penumbra anlangten. Gab es sonst stets eine Schlange von wartenden und einen kleinen Pulk von bereits abgewiesenen Gästen, die von den Türstehern des Penumbra unter Kontrolle gehalten wurden, starrten wir nun in das Kameraauge der Überwachungskamera und hofften, es würde sich irgendetwas tun.
Offensichtlich waren wir bemerkt worden, denn nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür und ein muskulöser, an seinen nackten Oberarmen stark tätowierter Ork grunzte uns ein „Was gibt’s?“ entgegen.
„Signor Castigliano erwartet uns…“, trällerte leon zurück.
„Watt? Alte, ich weiß nicht wovon du redest, aber wenn du ’nen Job als Tänzerin suchst, bist du erstens zu früh und zweitens zu häßlich!“ Der Ork war schon im Begriff die Tür wieder zu schließen, als ich mich einmischte.
„Entschuldigung, aber ich glaube kaum, daß Steel Tänzerinnen anheuert. Das sollte das Missverständnis hier klären. Und wenn du Schlappschwanz von meiner Begleitung nicht gleich den Rest deiner jämmerlichen Männlichkeit entfernt bekommen möchtest, bringst du uns jetzt zu ihm.“ Ich glaube, er wollte kurz zu einer Erwiderung ansetzen, aber ein Blick auf Ator, der nach wie vor grünlich schimmerte und alles andere als freundlich aufgelegt zu sein schien, ließ den Ork sich wohl eines Besseren besinnen. „Okay…kommt rein!“

Wir wurden durch den zu dieser Tageszeit leeren Club geführt. Obwohl ich schon des Öfteren hier Gast gewesen war, hatte ich den Laden noch nie bei Tag und entsprechend beleuchtet gesehen. Mir schien alles fremd und ranzig. Es war kaum vorstellbar, daß hier in acht Stunden das Leben toben und Idioten sich vor der Tür Schlägereien liefern würden, nur um hinein zu gelangen. Vorbei am Tresen, hinter dem ein dunkelhaariger Elf gerade mit einem einen platinblonden Irokesenschnitt tragenden Troll über das Potenzial verschiedener neuer Drinks stritt, wurden wir zu einem der Notausgänge geführt. Mit einem kurzen Nicken machte JD mich auf eine versteckt angebrachte Kamera über der Tür aufmerksam. Der Ork öffnete ohne weiteres Zögern die Tür, hinter der sich eine Treppe nach oben befand.
„Zweite Tür auf der rechten Seite. Und wenn ihr wiederkommen wollt, interessiert ihr euch erst gar nicht für die anderen“, riet der Ork mit einem Augenzwinkern.
„Hey, du bist ja richtig wortgewandt für ’nen Kurzschwanzork. Vielleicht probieren wir es beim nächsten Mal doch mit ’nem kleinen Tänzchen…“, gab leon mit gleicher Geste zurück, bevor wir die Treppe hinaufstiegen und den Ork mit seinen Gedanken alleine ließen.

Steel erwies sich als attraktiver Mittfünfziger in gut geschnittenem Geschäftsanzug. Dunkle, vermutlich gefärbte Haare und braune Augen, sowie sein leicht gebräunter Teint ließen ihn wie einen Lateinamerikaner oder Südeuropäer erscheinen. Seine ersten Worte ließen aber eine Herkunft jenseits von Seattle unwahrscheinlich erscheinen, möglicherweise hatte er sich aber auch nur gut angepasst.
„Guten Abend, mein Name ist Castigliano, aber Sie dürfen mich Steel nennen. leon, nehme ich an? Und dies“ sprach er unsere ehemalige Wetworkerin an, „sind die Herren, die Sie avisierten?“
„Si, Signor Castigliano. Silencio, Ex-Soldat; JD, Sicherheitsexperte, ehemals Renraku; Ator Gilla, Schamane. Wir arbeiten seit einiger Zeit zusammen, und ich denke, wir sollten in der Lage sein, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“, antwortete leon ungewohnt devot.
Steels Augenbrauen hoben sich ein wenig. „Sie haben gedient, Silencio? Wo waren Sie denn?“
leon devot und ein Johnson der mich siezte? Ich war etwas verwirrt und antwortete fast reflexhaft, als ich nach meiner militärischen Laufbahn gefragt wurde: „Infanterieausbildung der UCAS-Army im hundertvierundachtzigsten Infanterieregiment absolviert, ab 2037 Infanterist bei der CFS-Army, zweiundzwanzigstes Bataillon. Einsätze im Tir-Kalifornien Krieg, in Widerstandsgruppen in Redding und als Grenzgardist nach Ende des Krieges.“ Über die Worte mußte ich gar nicht nachdenken. Sie sprudelten einfach aus mir heraus, als hätte einer einen Wiedergabe-Button gedrückt.
Steel nickte nur und wandte sich JD zu. „Und Sie haben Renraku den Rücken gekehrt? Doch nicht ihre Familie?“ Ein leicht spöttisches Lächeln huschte dabei über sein Gesicht, als er das Wort Familie aussprach. JD schluckte trocken. Offensichtlich hatte Steel den wunden Punkt gefunden.
„Und Ator Gilla. Ich habe von Ihnen gehört. Die Sache im Hammond Necroplex ist in den Schatten nicht unbeachtet geblieben. Ich denke, Sie sind eine gute Wahl, auch wenn ich nicht mit entsprechender Opposition rechne.“ Ator schien wenig beeindruckt. „Noch haben wir keinen Deal, Steel!“ Ein breites Grinsen bahnte sich ins Gesicht unseres Krokomanten. „Aber ich denke, das wird schon. Du riechst nach NuYen…“.
„Hahahaa…ja, ich glaube wir sind im Geschäft.“ Steel schien wirklich positiv amüsiert. „Sie sind genau nach ihrem Geschmack. Nehmen Sie doch bitte Platz.“
Wir nahmen die Einladung an, wenn auch mit gemischten Gefühlen.
„Wie ich bereits erwähnte“, eröffnete Steel das eigentliche Geschäftsgespräch, „geht es um Wiederbeschaffung. Und es eilt ein wenig.“ Die Vorstellungsrunde war also vorbei, ohne daß wir etwas über ihn erfahren hatten. Ebenso vermerkte ich geistig, daß leon von „Wiederbeschaffung“ und „eilig“ nichts erwähnt hatte, während ich versuchte, mich auf mein Gegenüber zu konzentrieren.
„Es handelt sich um ein Objekt, das jeder von Ihnen mit beiden Händen tragen könnte. Es wurde vor einiger Zeit geraubt und der ursprüngliche Eigentümer hätte es gern zurück. Das Objekt befindet sich momentan in einem gesicherten Lagerraum in Konzernbesitz und soll von dort geborgen werden. Dies möglichst schnell.“
Steel schien fertig mit seinen Ausführungen, und ich fragte mich, ob sich meine Connections vielleicht doch vertan hatten. Für mich klang das sehr nach Einbruchdiebstahl, aber bei weitem nicht nach Wetwork. Was für mich okay war.

„Klingt doch nach ’ner machbaren Sache, oder, Jungs?“, fragte leon fröhlich in die Runde.
„Klingt erstmal nach viel Blablah und wenig Details.“, wandte JD ein.
„Genau! Reden wir über Geld“, brauste Ator auf. „Wieviel ist drin, Steel?“ Er hatte einfach einen Riecher für NuYen oder zumindest ein starkes Interesse an ihnen.
Steel blieb unbeeindruckt. Ruhig erwiderte er: „Hundert Riesen, wenn Sie den Job innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden erledigen. Und ein Bonus wäre auch drin. Dreißig Prozent.“ Und Steel schien Ator zu kennen.
Ich wurde mißtrauisch. „Hmm… hundertdreißig Riesen? Für ’nen Einbruchdiebstahl? Wo ist der Haken?“ Ich fand es war einfach zuviel Geld für eine so simple Sache.
„Pro Person!“ kam von Steel und Ator unisono und ich war platt.
„Okay, es ist also ein großer Haken. Ich wüßte ihn dennoch gern.“, beharrte ich auf meiner Frage, um meine Verblüffung zu verbergen.
„Sie haben Recht.“ Immernoch war Steel die Ruhe selbst. „Natürlich gibt es immer einen Haken. In unserem Fall handelt es sich zum Einen um den Konzern, auf dessen Gebiet sie vordringen müssten und zum Anderen darum, daß Sie die genaue Art des Objekts aus Gründen der Geheimhaltung erst erfahren werden, wenn Sie vor Ort sind. Was den Konzern angeht, kann ich Ihnen mitteilen, daß es sich um einen AA-Konzern handelt. Weitere Details nur, wenn Sie sich bereit erklären den Run zu übernehmen.“
leon blickte erwartungsvoll von Einem zum Anderen.

Timecode 06.10.2054 / 23:00:00

Wir hatten den Job natürlich nicht ausschlagen können und uns nach dem Treffen mit dem Johnson getrennt, um unsere individuellen Vorbereitungen zu treffen. Wie wir in unserem Briefing erfahren hatten, war Ziel unserer nächtlichen Aktion ein Lager für Forschungsmaterialien von Universal Omnitech. Es lag im Grenzgebiet zwischen Redmond und Bellevue und unterlag nach Auskunft unseres Johnsons einem mittleren Sicherheitsniveau. Oder zumindest dem, was er darunter verstand:
Ein Doppelzaun mit dazwischen freilaufenden Schreckhähnen; Kamerüberwachung des gesamten Areals; sechs Mann Standardbewachung.
Wir sollten, laut Plan unseres Johnsons, unbemerkt auf das Gelände vordringen; einen magschloßgesicherten Fahrstuhl kapern; mit diesem in den unterirdischen Teil der Anlage eindringen; dort angelangt eine bestimmte Transportkiste öffnen, den Inhalt an uns bringen und möglichst ungesehen das Gelände wieder verlassen. Auch wenn wir die genaue Bezeichnung der Transportkiste - inklusive Lagerungs-ID von Universal Omnitech - erhielten, was darauf hindeute, daß es entweder einen Maulwurf oder einen Decker gab, von dem wir nichts wussten, blieb uns Steel eine genauere Beschreibung des Inhalts schuldig. Um unseren Bonus zu verdienen, würde es notwendig werden, den Lieferanten der Transportkiste in Erfahrung zu bringen, was für mich nach einem Computerjob für JD klang. Die Aufgabe schien machbar. Nur der finstere Hinweis, wir sollten in unserem Interesse darauf achten, daß dem Inhalt der Transportkiste nichts zustößt, wirkte ein wenig übertrieben.
Da wir planten, die Belegschaft der unterirdischen Lagerräume mit Betäubungsgas außer Gefecht zusetzen, hatte ich noch am Nachmittag Empty Space einen kurzen Besuch abgestattet, entsprechende Gasgranaten und Gasmasken besorgt und ein wenig Smalltalk gehalten. Wie ich erfahren hatte, war ein Großteil der Ancients derzeit nicht in der Stadt; Gerüchten zufolge waren sie einer Einladung ins Tir gefolgt. Sollten die Körnerfresser doch miteinander Ringelreihen spielen. So würden sie wenigstens nicht unverhofft hinter irgendeiner Ecke auftauchen und Ärger veranstalten.
Wir hatten uns im „Superdad’s“ verabredet, einer Kneipe in der JD und ich ab und an ein paar Kurze kippten, wenn uns nicht nach Runnersmalltalk, sondern einfach nur nach Saufen war. Ich trug eine abgeranzt aussehende Panzerjacke und darunter einen Predator und verstieß damit keineswegs gegen die hier sozial akzeptierten Konventionen. Außer den hier zu jeder Tages- und Nachtzeit anzutreffenden Schwerstalkolikern, zwei Teenagern in den Farben der First Nation und der fetten, Zigarre rauchenden Bedienung hinter dem Tresen war niemand anwesend. Ich setze mich an einen der schmierigen Tische und ließ die Situation auf mich wirken. Alles schien einer gewissen alltäglichen Routine zu folgen. Einer der First Nation-Teenager verschwand nach hinten, wo sich, wie ich wusste, ein Notausgang befand. Ich schaute auf die Uhr und fragte mich, wie lange die Verstärkung wohl auf sich warten lassen würde. Sowohl meine als auch die der First Nation. Und welche zuerst auftauchen würde. Als ich den Blick wieder hob, saß mir Ator gegenüber und ich konnte meine Überraschung nicht verbergen.
„Scheint ja zu klappen…“. Ator grinste breit.
„Wie meinst du das denn jetzt? Und haste dich herbeamen lassen? Eben saß ich hier doch noch allein.“ Ich war zugegebenermaßen ein wenig perplex.
Das Grinsen wurde nur breiter. „Das meinte ich. Der Zauber scheint zu funktionieren. Ich saß hier schon, als du reingekommen bist. Hahaha….“ Ator zwinkerte mir verschwörerisch zu und bestellte vier Bier. „Wir sollten hier vielleicht nicht zuviel Aufsehen erregen“, wandte ich ein.
Er seufzte theatralisch. „Alter, jetzt hab‘ dich mal nicht so. Die sind doch hier eh alle dicht bis unter die nicht vorhandene Hutkrempe.“ Während Ator noch sprach, betrat ein muskulöser, knapp zwei Meter großer Amerindiander den Laden. Die blau ins Gesicht tätowierte Kriegsbemalung ließ keinen Zweifel an seiner Gangzugehörigkeit. Er blickte kurz in unsere Richtung, schien mich zu erkennen und spazierte dann gemeinsam mit seinem Anhängsel, dem First Nation-Teenager, der vor wenigen Minuten durch den Hinterausgang verschwunden war, an den Tresen. Ich wusste, es würde keinen Ärger geben, aber man würde uns im Auge behalten.
Die Bier kamen und kurz darauf erschienen auch leon und JD auf der Bildfläche.

„Okay Jungs, wenn ich das richtig verstanden habe, wird das ein Spaziergang“, faßte Ator eine halbe Stunde später unseren Plan zusammen.
Wir hatten uns mit einem von JD mitgebrachten White Noise-Generator ein wenig Privatsphäre im „Superdad’s“ geschaffen und uns damit auch nicht verdächtiger gemacht als Bruno, der in einer der anderen Ecken des „Superdad’s“ seine BTLs vertickte und seine Geschäftsbesprechungen auf ähnliche Weise diskret hielt.
„Wir legen die Hühnchen schlafen, ich mach‘ uns unsichtbar und levitiere uns über den Zaun. JD knackt das Magschloß und wir entern den Fahrstuhl. Unten angekommen legt Sille“, (das sollte doch wohl nicht sowas wie mein neuer Spitzname werden oder wie?) „mit dem Betäubungsgas die Belegschaft flach, wir schnappen uns die Ware und im Idealfall die Daten und verschwinden, wie wir gekommen sind. Fragen?“
Ator hatte uns im Verlauf des Gespräches darauf hingewiesen, daß er uns zwar auch für eventuelle Überwachungskameras unsichtbar machen konnte, dies aber nur möglich war, solange wir in seinem Sichtfeld blieben. „Könnte sein, daß ich etwas Zeit brauche, um an die Daten zu kommen. Ich hab‘ zwar nen super Agenten von Maddy bekommen, aber trotzdem…“ wandte JD ein. Maddy war eine Programmiererin, die JD vor einiger Zeit aufgerissen hatte und die sich als Expertin für Logistikprogramme nebenher ein paar Nuyen verdiente.
„Mach dir keinen Kopf. Ich bleib‘ bei dir und halt dir den Rücken frei.“ leon zwinkerte JD zu.
„Und sollte es doch Probleme geben, Scheiß auf den Bonus. Wir besorgen die Ware und kassieren die 100K. Creds muss man auch ausgeben können.“

Timecode 07.10.2054 / 03:20:00

Wir hatten uns hinter einem Container Deckung gesucht und die Wachen und Schreckhähne etwa eine halbe Stunde beobachtet, um Besonderheiten in ihrem Bewegungsmuster zu erkennen, die es aber anscheinend nicht gab. Mein Blick wanderte zu Ator, der meditierend in der dunkelsten Ecke hinter dem Container saß. Vieles hing davon ab, daß seine Zauber gelingen würden, aber er hatte Zuversicht ausgestrahlt und nun war es zu spät zu zweifeln.
„leon, JD, wie siehts aus?“, fragte ich in die Runde, um mir einen Überblick über den Status der Gruppe zu verschaffen.
„Sollte kein Problem sein, die drei Hühnchen auszuschalten.“, gab leon selbstbewusst zurück, nachdem sie das Narcoject-Gewehr in Anschlag genommen hatte. „Ich warte nur auf das Go von JD.“
Der implizit Angesprochene brachte uns auf seinen Stand der Beobachtung. „Wenn ich die Bewegungsmuster der Wachen richtig interpretiere, dürften sie gleich kehrt machen und dann für einige Zeit ihre Aufmerksamkeit einem anderen Teil der Anlage widmen.“ Er richtete sich auf. „Ihr seid fertig?“
Da Ator es nicht für notwendig hielt zu antworten, hob ich mit Blick auf ihn beide Daumen.
JD hob die linke Hand mit ausgestreckten Fingern und klappte nacheinander jeden einzelnen davon ein. Als der kleine Finger die Faust komplett machte, schoß leon schnell hintereinander drei Narcojectpfeile mit einem leisen „Pffft“ in Richtung der Schreckhähne. Für jemanden, der sein Geld damit verdient hatte, Köpfe zu treffen, war das natürlich kein Problem. Sekunden später brachen die drei Wachtiere bewegungslos zusammen.
Ator, der offensichtlich mehr von dem Geschehen um sich herum mitbekommen hatte als ich annahm, wirkte seinen Unsichtbarkeitszauber und kurz darauf seinen Levitationszauber. Auch wenn er behauptet hatte, das Aufrechterhalten der beiden Zauber würde für ihn kein Problem darstellen, hatten wir vorsichtshalber für den Rest des Runs ohne magische Unterstützung geplant.
Wir erhoben uns über den knapp über 4m hohen Außenzaun der Anlage, schwebten fast genau über den schlafenden Schreckhähnen und landeten lautlos und unsichtbar auf der anderen Seite. Mit wenigen Schritten erreichten wir den magschloßgesicherten Fahrstuhl und JD zückte seinen Magschloßknacker. Meine Augen folgten den Wachen, die in nicht allzu lange Zeit wieder kehrt machen würden. leon tat gleiches mit der Narcoject-Plempe. Wir wollten nach Möglichkeit keine Toten.
„Macht euch keine Sorgen“, murmelte Ator. „Für die sind wir nach wie vor unsichtbar.“ Seine Stimme klang ein wenig angestrengt. Hatte sich unser Krokomant doch ein wenig übernommen?
„Ich hab’s gleich“, flüsterte JD, gerade als die Wachen kehrt machten und ihre Blicke in unsere Richtung wanderten. Offensichtlich hielt der Zauber, was Ator versprochen hatte, denn die beiden Wachmänner setzten ihre Route und ihr Gespräch unbeirrt fort. leon ließ den Lauf des Gewehrs ihrem Weg folgen.
„Easy, leon!“, zischte ich. „Nur im Notfall! Denk dran, hier rennen noch zwei andere Teams rum. Wenn die ihre Kollegen schlafend finden, geht hier auf sicher der Alarm los.“
leon hob nur den linken Daumen, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen.
„Offen!“, meldete JD.
„Okay“, schnaufte ich erleichtert. „Warte noch ’nen Augenblick, bis sie um die Ecke sind. Ein Fahrstuhl, der von alleine kommt, verursacht nur Aufmerksamkeit.“
Wir ließen das Wachduo seinen Weg fortsetzen und riefen den Fahrstuhl, als sie gerade um eine Ecke gebogen waren.

Der Fahrstuhl brachte uns in den unterirdischen Bereich der Anlage und öffnete sich in einen kahlen Flur, der nur notdürftig beleuchtet war. Eine Kamera war auf den Aufzug gerichtet. Ich blickte kurz zu Ator, der mir deutete, daß sein Unsichtbarkeitszauber weiter aktiv war. Die Kameras würden also nur aufnehmen, daß die Fahrstuhltüren sich ohne Grund geöffnet hatten. Ich hoffte, daß die Sicherheitsroutinen des Systems nicht automatisch hochfahren würden, aber dieses Risiko mussten wir eingehen.
„Wir sollten uns ein Terminal suchen. Von dort aus kann ich die Transportkiste lokalisieren und im Idealfall gleich unsere Bonusdaten abrufen“, flüsterte JD.
„Ich könnte prophylaktisch das Betäubungsgas einsetzen“, überlegte ich. „Setzt auf jeden Fall schon mal die Gasmasken auf.“ Mit einer Handbewegung drängte ich zur Eile, bevor ich selbst die Maske über mein Gesicht zog.
„Laß es uns erstmal so probieren. Einzelne Gegner kann ich zur Not auch mit dem Narcoject ausschalten“, wandte leon ein, klemmte sich dann aber auch ihre Gasmaske vor die Nase.
Wir pirschten voran und fanden kurz darauf ein kleines Büro mit Blick auf einen Lagerraum, in dem Dutzende, wenn nicht Hunderte von Transportkisten gelagert waren. JD nahm Platz und loggte sich ein, lud seinen Agenten ins System und gab dann die Lager-ID ein, die wir von Steel erhalten hatten.
Ein Elf in weißem Laborkittel erschien jenseits der Scheibe, die Büro und Lagerraum trennten, in unserem Blickfeld. Er schien sich mit dem Abgleich einer Liste auf seinem Tablet und den Regalen zu beschäftigen. Plötzlich stutzte er und blickte mit weit aufgerissenen Augen in unsere Richtung.
„Er hat uns gesehen“, fluchte leon und war schon auf dem Weg zur Tür. In dem Wissen, daß Ator bei JD bleiben würde, stürzte ich hinterher. Die Reaktionsgeschwindigkeit von leon, von der ich ja wusste, daß sie praktisch nicht verdrahtet war, überraschte mich immer wieder.
Wir erreichten die Lagerraumtür. leon riß sie auf und ich warf eine der mitgebrachten Gasgranaten hinein. Sie explodierte mit einem deutlich hörbaren „Puff“ und setzte ihren Inhalt frei. leon stürmte in den Raum, als ich aus dem Augenwinkel einen Wachmann wahrnahm, der um eine Ecke rechts von mir kam. Ich riß meinen Predator hoch und feuerte zwei Schuß in seine Richtung. Die Gelgeschosse trafen ihn in Brusthöhe und ließen ihn zwei Schritte zurücktaumeln, schienen aber sonst keine Wirkung zu erzielen. Soviel zu non-letaler Munition. leon hatte den Elfen erreicht, der bereits zu Boden gegangen war. Ator berichtete später, er habe durch die Scheibe einen Schlafzauber gewirkt. Der Wachmann war hinter der Ecke in Deckung gegangen und funkte nach Verstärkung. Jetzt lief die Uhr!
Ich warf eine Gasgranate in Richtung des Wachmannes und betrat ebenfalls den Lagerraum, um aus dem Schußfeld zu kommen. Keine Sekunde zu früh. Eine Salve aus der MP des Wachmannes machte den Aufenthalt im Flur lebensgefährlich. „Ihr müsst in ein anderes Lager!“ kam über mein Headset. Offensichtlich war JD fündig geworden.“Und wenn ich den Eintragungen hier glauben darf, handelt es sich um ein „lebendiges Objekt“. Was auch immer das bedeuten soll.“ Bei mir schrillten alle Alarmglocken. Hatten wir es hier doch mit einer Extraktion zu tun? Die Kohle hätte mich misstrauischer machen sollen! Nun war es zu spät! Fuck!!!
„Shit! Okay, wo müssen wir hin?“, fragte ich zurück.
leon hob das Tablet des komatösen Elfen auf und warf einen Blick darauf.
„Moment…“, erwiderte JD.
Ich dachte kurz an einen Abbruch, aber die Creds waren gut. Ich stellte wie vereinbart eine Verbindung zu unserem Johnson her. Er hatte ja gesagt, wir würden genauere Informationen vor Ort erhalten. leon sprang in den Flur und streckte den Wachmann mit einem Schuß aus ihrem Narcoject-Gewehr nieder.

„Wir sind drin, Mr. Johnson“, eröffnete ich ungefragt das Gespräch, nachdem Steel sich gemeldet hatte. „Ich will jetzt wissen, was wir hier rausholen… und eins vorweg: wenn’s mir nicht gefällt, haben wir hier ’nen klassischen Abbruch!“
„Probleme?“, entgegnete Steel ungerührt.
„Noch nicht“, erwiderte ich mit möglichst unterkühltem Tonfall. „Aber keine Zeit für Smalltalk. Also?“